Warum sollten Sportvereine in kommunalen Netzwerken mitwirken? Der Deutsche Turner-Bund (DTB) kann diese Frage nun, nach Ende des Projekts „Sport bewegt Familien – Familien bewegen den Sport“, ausführlich beantworten. Das Entscheidende lässt sich wohl so zusammenfassen: Wenn die Zusammenarbeit funktioniert, bringt sie neue Mitglieder – und zwar auch aus bisher nicht erreichten Zielgruppen. Und sie bringt Synergieeffekte, unternehmerisch ausgedrückt. „Das Netzwerk schafft gemeinsam mehr als jeder einzelne Partner“, heißt es im Abschlussbericht von „Babys in Bewegung“, dem Modellprojekt des DTB.
Dieses Projekt wurde vom Juli 2011 bis August 2012 umgesetzt, an drei Modellen respektive Standorten. In Langen, Worms und Frankfurt am Main hatte sich zuvor je ein Netzwerk inklusive je eines Sportvereins gebildet, um junge Familien mit Babys zwischen drei und zwölf Monaten anzusprechen – nicht nur, aber ausdrücklich auch Familien in schwieriger sozialer Situation. So betrat der DTB zweierlei Neuland: Für gewöhnlich beginnt das Turnangebot für Kinder bei Einjährigen; und eine konzentrierte Ansprache belasteter Mütter und Väter – etwa Alleinerziehende, Minderjährige, von sozialer Grundsicherung Lebende – ist sportweit eine Ausnahme. Die Partnerschaft mit Akteuren der Familienhilfe, -beratung und -bildung sollte sie möglich machen.
Der Netzwerkaufbau an den drei Standorten war ebenso methodischer Kern des Projekts wie erstes Etappenziel. Das zweite bestand in der gemeinsamen Organisation einer Vereinsgruppe „Babys in Bewegung“, das dritte in der darauffolgenden Integration der Teilnehmenden in bestehende Vereinsangebote: Eltern-und-Kind-Gruppen, im Fall der Erwachsenen auch Fitness- oder Gesundheitskurse. Überdies nahm der DTB das Programm zum Anlass, das Thema „Familie und Sport im Turnverein“ in den Verband hineinzutragen, durch Information – so auf der Homepage, in Gremien, per Projektbroschüre - und durch Diskussion, etwa auf Konferenzen. Sport bewegt Familien. Und Familien bewegen den Sport. So sollte es sein.
Erfolg und Erkenntnis
So war es, im Großen und Ganzen. Indem die Babys motorische, geistige und sinnliche Anregung erhielten, die Eltern sich ganz auf ihre Kindern konzentrierten, mit und über sie lernten und sich dabei mit Gleichgesinnten austauschen konnten, hat auch das Turnen gewonnen, zum Beispiel Mitglieder und Kontakte. Und natürlich Erkenntnisse, wie sich auf diese Gewinne aufbauen lässt – der DTB will die Idee „Babys in Bewegung“ ja streuen, so durch Empfehlungen an Vereine und die Ausbildung von Übungsleitern.
Kein Wunder. Denn die direkte Ansprache via Netzwerkpartner führten den Modell-Vereinen insgesamt mehr Familien in prekärer Lebenslage zu als erwartet. Das „Babys-in-Bewegung“-Netzwerk in Langen etwa baute nicht eine, sondern drei Gruppen auf, rund die Hälfte ihrer Mitglieder begrüßte der beteiligte TV Langen später im Eltern-Kind-Turnen. Stichwort Kontakte: Mit dem Mehrgenerationenhaus des Zentrums für Jung und Alt plant der TV Langen eine gemeinsame, dann vierte Baby-Gruppe sowie weitere Bewegungsangebote. Auch in der Öffentlichkeitsarbeit, der Teilnehmendenakquise und bei der Suche nach Räumlichkeiten unterstützt man sich gegenseitig.
Entscheidend ist der kurze Draht zwischen Netzwerkpartnern und Zielgruppe. In Langen fungierten unter anderem ein Kinderarzt und die Tafel als Mittler zu hochschwangeren Frauen in sozial schwieriger Lage, in Worms bahnten ebenfalls Kinderärzte, dazu das Personal einer Kinderklinik und das städtische Netzwerk Frühe Hilfen (lokale Unterstützungssysteme für Eltern ab der Schwangerschaft) den Weg zu entsprechenden Familien. Dort nahm die Nachfrage nach den Kursen im Verlauf des Projekts stetig zu, und rund 80 Prozent der Babys sah ALISA Sport nach Erreichen der Altersgrenze im Eltern-und-Kind-Turnen wieder. Künftig will der sozial ausgerichtete Verein zwei Gruppen mit „Babys in Bewegung“ bilden.
In Frankfurt verlief die Akquise zunächst erfolgreich: Gestützt auf die Hilfe von Mitarbeiterinnen der Frühen Hilfen, die Familien in Problemlagen zum Kurs und wieder nach Hause fuhren, bildete sich eine gemischte Gruppe, deren zweite Hälfte aus Eltern der Mittelschicht bestand. Doch dann hakte es, die sozial Schwächeren blieben dem Kurs nach einiger Zeit fern – ihr Anteil war wohl zu hoch. Familien in schwieriger Lage müssten „in der Menge der übrigen Teilnehmer ,verschwinden' können“, folgert der DTB im Projektbericht.
Es geht um Kenntnis und Sensibilität: Wer belastete Familien erreichen wolle, müsse sie persönlich ansprechen und jede Form der Stigmatisierung vermeiden, hält der Verband fest. Das muss keinen Verein abschrecken, denn „Babys in Bewegung“ lieferte auch hierfür ein Modell: Die Menschen, die die Frauen und Männer kontaktierten – Hebammen, Kinderärzte et cetera – übergaben ihnen einen gestempelten Gutschein zur kostenlosen Teilnahme am Kurs. Die Eltern hatten das Gefühl, eine „Zugabe“ offiziellen Charakters zu erhalten – anstelle des Eindrucks, als jemand angesprochen zu werden, der oder die den Kurs „nötig“ habe.
Zur Präsentation des Projekts